Rüedus Schnapsbrönni

Die Gewinnerin des 2. Concours du Praliné à l’eau-de-vie steht fest: Ursula Schmid von der Confiserie Speck in Zug hat die Jury mit ihrer Kreation «Little Pear Crumble» überzeugt. Die weiteren Podestplätze gehen in den Thurgau und nach Zürich.

Quelle: Die Schweizer Illustrierte

10. November 2022

Genuss

Die mobilen Al(k)chemisten. Mit ihrer Destillerie fährt Familie Stähli von Hof zu Hof und brennt das Obst der Bauern zu Hochprozentigem.

Keiner bleibt hier lange nüchtern. Schon allein die Landschaft berauscht: Im Süden flammen die Berner Berggewaltigen im Morgenrot, davor protzen die monumentalen Felswände von Hohgant und Schratteflue. Auch die Flurnamen machen einen ganz trunken: Oberfröschern, Güetzischwendi. Adressen, wie im Schwips erdacht. Es ist früher Morgen im südlichsten Zipfel des Emmentals, Rudolf, 57, und Marlise Stähli, 53, sitzen vor ihrem Wohnwagen und essen Zmorge. Gestern Abend sind sie hier angekommen, auf dem Hof der Bauernfamilie Kropf in Röthenbach im Emmental, einem Dorf mit feinbuckligen Hügeln, stämmigem Wald und üppigen Bauernhöfen. Die Ortschaft ist bekannt für ihre Kirche, in der im Gotthelf-Film Ueli, der Knecht, sein Vreneli ehelichte. Und auch der Sahlenweidli-Hof aus der TV-Serie steht ganz in der Nähe. Sie hätten in ihrem Wohnwagen herrlich genächtigt, schwärmen Stählis, ruhig sei es hier, kein Auto, keine Bahn, kein Mucks zu hören, «still wie ne Saucheib», wie sie es ausdrücken. Das Ehepaar übernachtet immer da, wo es brandaktuell am Arbeiten ist. Gegenüber dem Wohnwagen steht seine Werkstatt: ein 2,5-Tonnen-Koloss aus Kupfer und Stahl, fünf Meter hoch, mit Rohren, Röhren und Röhrchen, Hebeln, Apparaturen, Brennkesseln und zwei Kaminen – eine fahrende Destillerie Rudolf («sagt mir nicht so, ich bin der Rüedu») und seine Frau Marlise sind Schnapsbrenner auf der Stör, Lohnarbeiter für Geistreiches. In warmen Monaten machen sie überall im Land halt, vom Thuner Ostamt übers Oberemmenthal bis hoch nach Grindelwald. Die Bauern bringen ihr vergorenes Obst vorbei – die Stählis brennen Schnäpse daraus 8000 Liter im Jahr. Für über tausend Kunden. So eine fahrende Brennerei ist ein hochpräziser Apparat für Hochprozentiges, das fängt bei der exakte Typen-Bezeichnung an. Dieser hier (gebaut von der Firma Holstein in Markdorf/D am Bodensee) ist eine «Wasserbad-Brennerei mit Feinbrandkolonne, drei Glockenböden und Verstärker, holzbeheizt». Rüedu sagt ihr einfach nur «mini Chuchi». Eine Woche lang campieren und destillieren Stählis hier auf dem Kropfhof. Bauern aus der Region, die etwas zum Brennen haben, bringen während dieser Zeit ihre Ware (meistens vergorene Äpfel) spontan vorbei.

Der Erste an diesem Morgen ist der Guggerhubel-Bauer. Schlüchter Ernst, 75, knattert mit dem Traktor vor die Schnapsbrönni, auf dem Passagiersitz höckelt sein vierjähriger, finster dreinblickender Enkel Dario. Auf der Heckladefläche hat der Bauer Korbflaschen und ein blaues Plastikfass, randvoll mit 100 Kilo Früchtebrei aus vergorenen Boskop-Äpfeln (Maische genannt) Erst Amtshandlung von Brennmeister Stähli: der Nasentest. Er öffnet das Fass, schnuppert an der Maische und kann sofort beurteilen, ob man daraus Schnaps brennen kann. Ihm kommen nur ausgereifte, saubere und gesunde Früchte in der Brennblase. Früher wurden oft auch faule oder gar schimmlige Früchte gebrannt; das genüge für Schnaps denk wohl, war die landläufige Meinung – dementsprechend schauriger Fusel war das Resultat. Aus den 100 Kilo Maische von Bauer Schlüchter wird Stähli gut 10 Liter bester Schnaps brennen.

Die Auftragsbesprechung zwischen Kunde und Brennchef ist nicht sonderlich übbig. Stähli: «Wie wosch ne?» Bauer Schlüchter: «Chrüter» Was bedeutet, dass Stähli der Maische während des Brennens eine Mischung aus 30 Kräutern (Anis, Wachholder, Fenchel, Wermut und andere) beifügen wird.

Der nächste Kunde ist der Stockernhof-Bauer Rüegsegger Hans-Ueli «Salü, i ha dir en Uuftrag!» Er bringt drei Fässer (100 kg Äpfel, 30 kg Pflaumen, 30 kg Holunder) und die neusten Nachrichten aus der Region, wer grad krank und wer gestorben ist. Zum Schluss kommts erneut zu einer wortgewaltigen Auftragsbesprechung: Stähli: «Wenn wosch ne?» Bauer Rüegsegger: «Oktober» Stähli setzt seinen Strohhut auf, bindet die Schürze um und zieht seine Hosenträger mit Rosenmuster stramm: «Fömmer a!» Die matschige, unansehnliche Maische in klare, edle Brände zu verwandeln – das ist die Kunst.

Wahre Al(k)chemie.

Marlise und Rüedu feuern ein und füllen Kühlwasser in die Anlage. Die Schnapsbrönni hat zwei Kupferchessi, eines fasst 201 Liter, das andere 199 Liter. Darin wird die Maische erhitzt. Beim Brennen werden die Aromen und der Alkohol durch Destillation (destillare bedeutet herabtröpfeln) gewonnen. Das funktioniert, weil die verschiedenen Inhaltsstoffe der Maische unterschiedliche Siedepunkte haben. Noch mehr Holz, noch mehr Feuer, Temperatur und Druck steigen. Nach gut einer Stunde beginnts zu zischen und zu brodeln. Die Überdruckventile fauchen, Dampfschwaden umschwärmen die Schnapsbrönni.

Und dann rinnt er heraus – der Schnaps. Aber kein guter! Was da fliesst (etwa zwei Deziliter), ist der sogenannte Vorlauf. Darin ist Ungeniessbares wie Acrolein (siedet bei 52 Grad), Methanol (65 Grad) und Essigester (77 Grad). Rüedu schöpft mit einem Trinkglas etwas vom Vorlauf heraus und steckt seine (Schnaps-) Nase hinein, Stehender, beissender Geruch, etwas zwischen Lösungsmittel und dem Rasierwasser Pitralon, das ich als Kind meinem Vater jeweils zu Weihnachten schenkte. Der Vorlauf wird immer vernichtet. Dann, bei 78,3 Grad verdampft der Alkohol. Glasklar rinnt der sogenannte Mittellauf – «s Härzstück» – in einen Metalleimer. Wieder tunkt Stähli das Glas hinein, schnuppert. Und strahlt «Das isch Musig!» (Und der Mann versteht etwas von Musik, dirigiert er doch doch einen Männerchor und einen gemischten Chor.)

Trinken kann man den Mittellauf noch nicht, ist er doch mit 78 Volumenprozent viel zu stark. Stähli wird ihn später mit Quellwasser mischen, bis das Alkoholometer (eine Art schwimmender Fiebermesser) geniessbare 45 bis 50 Volumenprozent anzeigt.

Rüedu Stähli ist gelernter Automechaniker. Sein Vater zog als Schnapsbrenner durch die Lande. Während des Sommers half ihm Rüedu beim Lohnbrennen, im Winter flickte er Autos. Vor bald 30 Jahren übernahm er Vaters mobile Destillerie und fährt seither herum und brennt Obst. Apfel zum allergrössten Teil, zudem etwas Birne, Kirsche, Zwetschge und Aprikose. Ein Tag im Jahr wird Enzian gebrannt. Man könne fast alles in Alkohol verwandeln, weiss Rüedu; mit Randen hat er es schon versucht, mit Fenchel, Zwiebel, Rüebli, und Tomate, Kürbis sogar (aus 100 Kilo gewann er gerade mal 1 Liter). Ein absoluter Reinfall war sein Versuch, Käsemilch zu destillieren. Er tüftelt drum gern, seine Produkte gewinnen regelmässig Goldmedaillen. Nebst den üblichen Bränden produziert Rüedu auch so wundervoll Klingendes wie Haslibirnen, Spiezer-Fee, Härdöpfler, Lustige Caramel, Lustige Quitte, Änis-Chräbeli-Bänz und Mir isch glich.

Er selbst trinkt «allerhöchstens am Wochenende ein Gläsli». Auch er kennt wüste Geschichten von Schnapsbrennern, die selber zu ihren besten Kunden wurden. Marlise trinkt überhaupt keinen Schnaps. Sie schnuppere am Schnaps, sagt sie, «oder ich träufle mir ein Tröpfli auf die Zunge, schmecke, schlucke aber nicht, sondern lasse es verdunsten.» Sie hatte damals ja auch grosse Bedenken, den Schnapsbrenner Rüedu zu heiraten, heisse es im Volksmund doch «Der Teufel hat den Schnaps gemacht». Schliesslich konnte Rüedu seine Braut davon überzeugen, dass er weder Teufel noch Süffel ist. Und Marlise – gelernte Metzgerin Typus B (ohne Schlachten) – nahm seinen Heiratsantrag an. In den kalten Monaten geschäftet das Ehepaar in seinem Winterquartier, wo es mit der untergestellten Schnapsbrönni allerlei exquisite Brände und Liköre fabriziert. In Stähli’s Disti-Boutique in Einigen BE bieten die beiden ihre Destillate feil.

Zurück ins Emmental. Wohl ein Dutzend Kunden kommt im Laufe des Tages vorbei, bringt Fässer voll Maische und leere Korbflaschen. Zwischen fünf und sieben Franken Brennlohn verlangt Stähli pro Liter. Dazu muss der Kunde (gilt nur für Nicht-Bauern) der Eidg. Alkoholverwaltung noch eine Steuer von 29 Rappen pro Gradstärke bezahlen.

Ja, die Verwaltung, die Verordnungen, all die Gesetze… Marlise und Rüedu schauen sich an. Schnaufen theatralisch. Als Schnapsbrenner könne man mit vielen Ämtern und Gesetzen in Konflikt geraten, sagen sie. Da sind: Alkoholverwaltung, Feuerpolizei, Gewässerschutz, Luftreinhalteverordnung und Strassenverkehrsgesetz. «Und irgendwann vielleicht sogar», Marlise gluckst, «mit der Sittenpolizei.» Mit dem heissen Restwasser ihrer Destillerie würden sie und Rüedu drum abens, wenns dunkel ist, wenn niemand in der Nähe ist, duschen. Füdliblutt neben ihrer Schnapsbrönni. Schnapsidee.

Quelle: Die Schweizer Illustrierte

Kontakt

Lohnbrennerei Stähli
Stockentalstrasse 5
3647 Reutigen
Tel. 079 375 55 76
ichbrenne@zeltnerdestillerie.ch

DIE GEWINNERIN

Ursula Schmid hatte bereits an der ersten Austragung des Wettbewerbs im Jahr 2022 teilgenommen. Sie belegte damals den zweiten Platz. Erster wurde vor zwei Jahren ihr Produktionsleiter: Markus Waser. Das freut besonders Peter Speck, in dessen Confiserie in Zug beide arbeiten: «Ich bin sehr stolz auf die Leistung von Ursula Schmid!» Natürlich wird das Praliné ins Sortiment aufgenommen.

«Unser Herz schlägt für die Kirsche, aber wir können auch Birne!», meint er mit einem Schmunzeln. Die Schwyzerin Ursula Schmid freute sich sehr über den ersten Preis, umso mehr als sie nicht mit einem Sieg gerechnet hatte. Wenn Ursula Schmid von ihrem Beruf zu sprechen beginnt, spürt man ihre Leidenschaft. «Mir gefällt das Kreative. Hier kann ich dies ausleben! Es ist schön, kann ich mit den Kuchen, Torten und Pralinés den Menschen Freude bereiten.»

 

DIE RANGLISTE

1. Rang: Ursula Schmid von Speck Genuss AG in Zug mit «Little Pear Crumble»mit rotem Williams (40 % vol.) von der Brennerei Heiner’s Destillate in Zug.
Das Praliné überzeugt mit einer harmonischen und einzigartigen Verbindung von Ästhetik, Geschmack und Textur. Die Konsistenz vereint Knusprigkeit, Zartheit und Samtigkeit auf eine bemerkenswerte Weise. Darüber hinaus ist das Aroma perfekt ausgewogen.

 

2. Rang: Lucia Röllin von der Confiserie-Bäckerei Mohn AG in Sulgen (TG) mit «Poire W cristallisée» mit Brennmeister Willams, Möhl (40 % vol.) von der Mosterei Möhl in Arbon
Bei diesem Praliné steht die Willamsbirne im Mittelpunkt. Die süssliche und sanfte Note des Williamsbirnen-Aromas harmoniert perfekt mit der dunklen Schokolade.

 

2. Rang: Lucia Röllin von der Confiserie-Bäckerei Mohn AG in Sulgen (TG) mit «Poire W cristallisée» mit Brennmeister Willams, Möhl (40 % vol.) von der Mosterei Möhl in Arbon
Bei diesem Praliné steht die Willamsbirne im Mittelpunkt. Die süssliche und sanfte Note des Williamsbirnen-Aromas harmoniert perfekt mit der dunklen Schokolade.

 

Der Wettbewerb

Der Wettbewerb wurde zum zweiten Mal durchgeführt. Er wurde vom Schweizerischen Bäcker- Confiseurmeister-Verband (SBC – www.swissbaker.ch) und von DistiSuisse (www.distisuisse.ch), der wichtigsten Schweizer Spirituosen Prämierung, ins Leben gerufen. Initiant ist der renommierte Foodsensoriker und -journalist Patrick Zbinden.

Die Kriterien

Für den Concours du Praliné à l’eau-de-vie Williams durften ausschliesslich Williamsdestillate, die eaus Schweizer Rohstoffen hergestellt sind, verwendet werden. Die Jury beurteilte unter anderem das Äussere, das Aroma und den Geschmack sowie die Textur
der Pralinés. Darüber hinaus musste ein regionaler Bezug ersichtlich und das Storytelling nachvollziehbar sein.

Die Jury

  • Patrick Zbinden, Jurypräsident, Food-Journalist, unabhängiger Lebensmittel-Sensoriker und «Ambassadeur du pain et chocolat».
  • Victor Egger, AOP/DistiSuisse
  • Lisa Frunz, SBC-Zentralvorstandsmitglied und Verantwortliche Detailhandel, Confiserie Bebié in Luzern
  • Silvan Hotz, SBC-Präsident und Mitinhaber Bäckerei Hotz Rust in Baar
  • Jonas Inderbitzin, Acroscope
  • Peter Jauch, Präsident Schweizer Schnaps Forum
  • Nina Kobelt, Food-Journalistin Tamedia
  • Maximilian Niederberger, Carma in Zürich
  • André Richiger, Mitglied Schweizer Schnaps Forum
  • Rebekka Salzmann, Geschäftsführerin und mehrfach prämierte Barkeeperin
  • Juliana Thöny: Amtierende Weltmeisterin Konditorei-Confiserie, Hotel des Balances in Luzern
  • Naomi Wahl, Leiterin Chocolate Academy von Carma in Zürich
  • Florian Walpen, Vorstandsmitglied Schweizer Schnaps Forum
  • Sina Züger, Zweitplatzierte Konditorei-Confiserie SwissSkills 2022, Richemont Fachschule in Luzern.